STOLPERSTEINE APP

Moderne Erinnerungskultur dank Augmented Reality

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Im Auftrag des Landesbeauftragten für politische Bildung Schleswig-Holstein hat Dataport eine Augmented-Reality-App zu Stolpersteinen entwickelt, die Interessierte in Kiel, Rendsburg und anderen Städten und Landkreisen nutzen können. Stolpersteine sind kleine quadratische Gedenksteine aus Messing, mit denen an das Schicksal der Menschen erinnert wird, die in der Zeit des Nationalsozialismus verfolgt, ermordet oder vertrieben wurden. Wir haben mit dem Landesbeauftragten Dr. Christian Meyer-Heidemann über die App gesprochen.

Worum geht es beim Projekt „Stolpersteine-App“ und wie funktioniert die App?

Mit der App möchten wir über die Biographien der Opfer des Nationalsozialismus informieren und die Lebens- und Leidensgeschichten der Menschen erzählen. Im Nationalsozialismus wurde den Opfern auf grausame Weise ihre Individualität geraubt. Mit der App „Stolpersteine SH“ versuchen wir, ihnen diese Individualität ein Stück weit zurückzugeben und so ein personalisiertes Erinnern und Gedenken möglich zu machen.

Warum ist das Thema aus Ihrer Sicht wichtig?

Unsere Erinnerungskultur ist im Wandel. Es gibt immer weniger Zeitzeug*innen, die aus erster Hand von der NS-Gewaltherrschaft berichten können. Außerdem wird der zeitliche Abstand zum Nationalsozialismus immer größer. Einige klassische, teilweise ritualisierte Gedenkformate stoßen an ihre Grenzen, insbesondere wenn es gelingen soll, jüngere Menschen zu erreichen. Die App ist ein wichtiger Schritt zu einer digitalen Erinnerungskultur.

„Unsere Erinnerungskultur ist im Wandel.“

Wie kam es zur Idee, Stolpersteine digital zu erweitern?

Ich habe von einer lokalen Initiative gehört, die vorhatte, QR-Codes im Gehwegpflaster neben den Stolpersteinen zu verlegen. Da kam mir der Gedanke: Das muss doch auch einfacher gehen. Mit Lars Mischak fand ich bei Dataport einen kompetenten Ansprechpartner, der auch schon zuvor zum Thema Stolpersteine gearbeitet hatte. Gemeinsam mit unseren Teams entwickelten wir weitere Ideen und Features, die schon bestehende Apps nicht hatten, vor allem die digitale Gedenkfunktion per Augmented Reality.

Welche technischen Herausforderungen galt es zu meistern?

Die Scan-Funktion, die die korrekte Erfassung des Stolpersteins per Kamera und GPS-Unterstützung ermöglicht, war schon eine Herausforderung. Und auch die Augmented Reality, über die Nutzer*innen eine virtuelle Gedenkkerze platzieren können, hatte anfangs ihre Tücken. Aber die Arbeit hat sich gelohnt: Andere Nutzer*innen können nun die virtuellen Kerzen auf ihrem Handy sehen und die Kerzen brennen virtuell innerhalb von sieben Tagen ab. Außerdem wurden die Datenbanken so gestaltet, dass die App einfach und datensparsam genutzt werden kann.

Wie ist das bisherige Feedback und die Nutzerzufriedenheit (zum Beispiel im App-Store)?

Wir haben überaus viele wirklich positive Rückmeldungen erhalten und die App wurde bis Anfang Mai mehr als 5.000 Mal heruntergeladen. Aber es gab auch konstruktive Kritik, wie etwa den Wunsch, die Biographien nicht nur am Stolperstein, sondern auch ortsunabhängig abrufen zu können. Dies haben wir in einem Update aufgegriffen, wobei die Gedenkfunktion weiterhin nur am Stolperstein möglich ist. Wir möchten, dass die Menschen vor Ort Anteil nehmen.

„Die App ist ein Mitmach-Projekt, das von vielen ehrenamtlich Engagierten lebt.“

Welche Städte/Kreise nutzen die App bereits?

Wir sind im November zunächst mit der Landeshauptstadt Kiel und der Stadt Rendsburg online gegangen. Sofort haben sich viele lokale Initiativen bei uns gemeldet und ihre Rechercheergebnisse für eine Ausweitung der App zur Verfügung gestellt. Inzwischen sind die Kreise Rendsburg-Eckernförde und Schleswig-Flensburg sowie die Städte Neumünster, Bad Segeberg, Flensburg und Bad Schwartau erfasst. Als nächstes werden wir Lübeck aufnehmen. Bis zum Jahresende werden wir die mehr als 800 Stolpersteine in ganz Schleswig-Holstein in der App verfügbar machen.

Wie geht es weiter? Sind Ausweitung und ggf. ähnliche Projekte geplant?

Die App ist ein Mitmach-Projekt, das von vielen ehrenamtlich Engagierten lebt – so wie unsere Erinnerungskultur ja insgesamt. Wir werden zukünftig noch Fotos und Audiodateien einbinden und auch bestehende Texte überarbeiten, wenn neuere Forschungserkenntnisse vorliegen. Andere Bundesländer wie Bremen und Mecklenburg-Vorpommern haben schon konkretes Interesse signalisiert. Und sicherlich wird die App nicht unser letztes digitales politisches Bildungsangebot gewesen sein.

Dr. Christian Meyer-Heidemann

wurde 1980 in Wolfsburg geboren und lebt seit 2001 in Kiel. An der Christian-Albrechts-Universität (CAU) zu Kiel studierte er die Fächer Wirtschaft/Politik und Mathematik. Auf die Promotion zum Thema „Selbstbildung und Bürgeridentität“ folgte eine Professurvertretung für Politikdidaktik an der Leuphana Universität Lüneburg. Im Anschluss vertrat er die Professur für Wirtschaft/Politik und ihre Didaktik an der CAU. Im November 2015 wurde er vom Schleswig-Holsteinischen Landtag auf der Grundlage eines fraktionsübergreifenden Antrags mit breiter Mehrheit zum ersten Landesbeauftragten für politische Bildung gewählt. Als Landesbeauftragter für politische Bildung berät Dr. Christian Meyer-Heidemannin Schleswig-Holstein den Landtag und die Landesregierung in Fragen der politischen Bildung. Mit seinem Team bietet er Veranstaltungen und Projekte zur politischen Bildung an. Thematisch reichen diese von der Erinnerungskultur über Jugendbildung und Medienkompetenz bis hin zur Prävention von Extremismus und Antisemitismus.

Hier können Sie die Stolpersteine-App herunterladen:

Gruppenbild zur Vorstellung der AR-Stolperstein-App

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